Barbara-Künkelin-Preis

Laudatio von Rupert Neudeck

Laudatio von Rupert Neudeck

Gründervater der „Cap Anamur“ und der „Grünhelme“

 Als ich mich vorbereiten wollte, gab es eine kleine Katastrophe in unserer wohlanständigen und – nehmt alles nur in allem – auch warmen Bundesrepublik. Die Temperaturen gingen auf sibirische Formate herunter, wie unsere Wetterfrösche nicht müde wurden uns Angst zu machen. In diesen Tagen las ich das Kapitel in Ulla Lachauers Buch Ritas Leute über die sibirische Verbannung der Volksdeutschen damals:

„Wie kann einer freiwillig nach Kolyma ziehen? Wo zwei oder drei Mio Menschen verreckt sind, von zehn oder zwanzig Mio Sträflingen – in dieser Größenordnung bewegen sich die geschätzten Zahlen. Der Fluß Kolyma war der Name für die berüchtigte Gegend, die Solschenizyn als „Kälte und Grausamkeitspol“ des Archipel Gulag bezeichnete. 72 Grad minus sind einmal gemessen worden in einer Polarnacht, niemals wäre dort eine Stadt entstanden, hätte man nicht Gold und andere Edelmetalle in Kasachstan gefunden.“
(Ritas Leute, S. 202f.)

Die Transsib transportierte die Sträflinge bis Wladiwostok, von da an transportierte man die Häftlinge weiter auf dem Seeweg über das Japanische und das Ochotskische Meer. Sobald die Schiffe sich Hokkaido näherten, wurden um die menschliche Fracht zu verbergen, die Luken dichtgemacht, die Lichter gelöscht. Manche erreichten nie den Hafen Magadan. 1933 wird berichtet – saß die „Dschurma“ neun (!) Monate (!) im Packeis fest, wobei die 12 000 Gefangenen erfordern, die Hälfte der Besetzung soll wahnsinnig geworden sein“. (Ritas Leute, Rowohlt Reinbek 2002 S. 2003)

Das bitte zur Einstimmung von uns behüteten Bundesbürgern auf die sibirische Kälte der Temperaturen von 14 – 18 Grad minus.

Wie kommt die Westfälin/Ahlenerin Ulla Lachauer, die westfälische Göre dazu, sich um Vertriebene um Spätaussiedler, um Flüchtlinge, Displaced people zu kümmern?

Ja, zunächst hätte ich angenommen, sie hätte dazu gehört. Aber als ich Sie das erste Mal sah, im Büro des DLF am Raderberggürtel, konnte das natürlich nicht sein.

Der Grund ist klar zu benennen: Sie hat ein angeborenes Urgefühl für Gerechtigkeit. Und um dieses Gefühl auch an viele hunderttausende Ihrer Mitbürger weiterzugeben, erzählt sie hinreißende und heimelige Geschichten über diese Menschen, die manchmal verfemt waren. Und sie besuchte diese Menschen, die sie beschrieb immer mit großer Liebe, ein Wort, das neudeutsch Empathie heißt, aber Liebe ist doch besser.

Und es kam ein Buch nach dem anderen auf den Markt. Am Beginn Ihrer Reise nach Tilsit, das heute eher hässlich Sowjetsk heißt, beschreibt sie ihre „Begegnungen mit Preußens Osten und Russlands Westen“.
Die Bundesrepublik – so steht es da und ist so wahr – „starrte auf dieses Jahr 1944/1945, fixierte diesen Ausschnitt der Geschichte, der die Existenz Deutschlands so grundlegend umgestürzt hatte. Zuerst in den Zeiten des Kalten Krieges, hatte dies die Form der Klage und oft der Anklage. Das haben die Bolschewiken getan! Hieß es, der Antikommunismus überwucherte den Kontext des Geschehens und schließlich auch das Gesicht der Städte und Landschaften, um die es ging“.

Dann aber, so fährt Ulla Lachauer fort (Die Brücke von Tilsit, Rowohlt Reinbek 2010 S. 17 – kam die neue Ostpolitik. Mit dieser neuen Ostpolitik wurde über diesen Punkt ein Tabu verhängt. Das Schuldbekenntnis, Voraussetzung der Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn, schloss ein Junktim ein:
Das VOLK der TÄTER hat über seine eigenen WUNDEN zu SCHWEIGEN.

Sie selbst sei geprägt gewesen – ich auch, liebe Ulla – von Willy Brandts Politik. „Sein Kniefall in Warschau hatte mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben, dass es eine Bundesrepublik gibt, mit der ich mich identifizieren könnte.“ Doch später kamen ihr Zweifel. Musste dieser historisch notwendige Schritt wirklich so weitreichende Sprachverbote nach sich ziehen? Es erschien ihr ungerecht, aus gerechnet die Gegenden auszublenden, die untergegangen sind, sie damit ein zweites Mal auszulöschen. Warum durften sie nicht einfach beschrieben werden, die früheren Generationen?
Sie entdeckte plötzlich einen Grundsatz des Historismus, von Leopold Ranke neu: „Jede Epoche ist direkt zu Gott!“ Diese Position gab den Menschen wieder Genugtuung und Gerechtigkeit, was sie auch brauchen neben der Reue, der Buße und dem Sündenbekenntnis. Viele, die Mehrzahl der Millionen Deutschen sind schon gestorben und haben diese Genugtuung nicht erfahren und erleben können. Meine Eltern z.B. die eigene Mutter, die wahrscheinlich vergewaltigt wurde, die aber nie hat darüber reden können.

Vielleicht ist das die höchste Form der Liebe, es zu lieben ohne es zu besitzen, so hat es die größere Schwester unserer Preisträgerin gesagt am Ende ihrer „Ostpreußischen Kindheit“, die Marion Gräfin Dönhoff.
Ulla Lachauer hat uns in ihren Büchern und Sendungen gezeigt, wie man sich in Menschen einfühlen kann, die so viel gelitten haben, zumeist Frauen, die so viel gelitten haben.
Diese Generation kommt ja an ein Ende, die das noch weiß: Das war die „Stunde der Frauen“, was da alles erlebt und erlitten, erkämpft und erobert werden musste. Es hat das Wort Emanzipation damals nicht gegeben 1945. Aber nie haben Frauen eine größere geschichtliche Leistung vollbracht als damals in den letzten Monaten des Krieges und den ersten Jahren nach dem Kriege. Die Männer wunderten sich, was sie alles angestellt hatten, die Frauen mussten alles aushalten und machen, sie durften nicht wie Lot zur Salzsäure erstarren. Die Kinder schrieen ja vor Hunger und Durst um sie herum. Aber was damals die Mütter ausgehalten und durchgetragen haben mit uns Blagen, dagegen ist das Leben von Alice Schwarzer und von uns allen ein Luxusleben gewesen. Das war die größte feministische Zeit, eine Zeit, in der es aber noch keinen Feminismus gab.

Es war die Zeit, in der Ulla Lachauers Bücher durch Recherche, Drehreisen entstanden, die ZEIT, als wir noch der festen Überzeugung waren, das Rundfunk und Fernsehen uns gehöre und wir die Geschichten, die Heldentaten aus dem Alltag dort Vorrang hätten. Wie diese Geschichte der Lena Grigoleit in der Paradiesstrasse.
Die Welt von Gestern wird noch mal heraufbeschworen, die Zeit, da Menschen in Deutschland und Europa zur Memel und nach Tilsit zogen, um Urlaub zu machen. Heute sind das Mallorca und die Kanarischen Inseln. Oder Sharm el Sheik oder Mombasa, Bali oder Hudhaga. Als Ulla Lachauer noch mal nach dem Fall der Mauer 2006 auf dem Weg ist nach Litauen, mittlerweile einem unabhängigen Land, auf der Suche nach einem Dorf namens Bitenai, deutsch Bittehnen. Und ein alter Mann auf die Frage, ob hier noch jemand wohne sagt, Ja, eine einzige Frau Elena Grigoleit ( alias Kondrataviciene) in dem Haus wo die vielen Dahlien blühen.
Sie wohne schon 80 Jahre hier. Die anderen Bittehner sind verstreut in alle Winde, die meisten in Deutschland. Manche in Kanada oder USA. Die einzige ist die Lena geblieben.
Ulla Lachauer fragte: Leben Sie gern hier? Da sagt die Lena: Jetzt auf das Lebensende sollte man doch wirklich gern leben hier. Was soll man noch weiter? Wo soll man noch weiter hin? Heimat ist Heimat, da kann man nichts besseres finden.

In der „Paradiesstrasse“ hat Ulla Lachauer dieses Leben zu beschreiben versucht und es ist ihr das Porträt einer Frau „aus der Welt von gestern“ gelungen.
Wenn der Pfarrer kam von Ragnit oder die Bekannten aus Obereisseln, immer hieß es: „Das Reich! Alle werden reich, es wird mehr Freiheit geben für die Deutschen.
Einfache Hitlermenschen, so nennt die Lena Grigoleit die Nazis.
Nie im Leben werde sie das Geschrei vergessen in diesen ersten Tagen des Krieges. Von jenseits der Grenze schrieen die Juden, sie haben sie zusammengetrieben,. Sie mussten selbst ihre Gruben graben, dann wurden sie lebendig reingeschmissen.
Diese Menschen wussten: „Wenn es eine Gerechtigkeit gibt auf Erden, musste das dicke Ende noch kommen!“
Es kamen so viele von diesen Lena Grigoleit zu uns und sie fühlten sich nicht heimisch. Ein Grund: Sie waren streng religiös und fromm. Und das haben wir Westler, wir Mac-Donald Westler ja längst hinter uns gelassen. Das überlasen wir den ganz alten und den kleinen Kindern, aber uns vernünftigen Menschen bedeutet das ja kaum noch was.
Ein großer Trost, den Ulla Lachauer vermittelt: es gibt auch viele gute Menschen selbst unter denen, die das eigentlich nicht sein können. Damals aber war es schrecklich in einem Grenzort, „wenn du beide Sprachen kennst. Einer sagt, du bist deutsch, der andere sagt, du bist Litauer.- Diese verlassen sich auf dich, jene wollen wieder was von mir haben. Und ich stehe so zwischen den Fronten“ (S. 47 Paradiesstrasse)

So auch heute Israelis und Palästinenser, Kopten und Muslime in Ägypten, es sind meist zwei Sprachen und zwei Lebensweisen.
History is mainly bunk, „Geschichte ist eigentlich Humbug“ hatte der alte Henry Ford gesagt, bevor er das Auto zu dem Sakrament und der heiligen Kommunion des modernen Menschen gemacht hat. Aber er hat Unrecht. Die Geschichte ist sehr viel. Und wie Christa Wolf uns gesagt hat: Die Vergangenheit ist nicht vorbei. Sie ist noch nicht einmal vergangen.
Ulla Lachauer gehört für mich zu den Frauen, die unbestechlich sind. Sie zeichnen sie in Schorndorf zu Recht aus. Sie gehört zu diesen Frauen, die wissen, wann Widerstand zu leisten ist.
Das Volk der Täter hat über seine Wunden zu schweigen. Aber das widerspricht dem, was uns das Evangelium und die praktische Form des Gedenkens anweist: Wir sollen die Leiden der Menschen, die unschuldig zugrunde gingen, ernst nehmen und bewahren. Apokalypse, ja sagte Johann Baptist Metz, er vermisse diese apokalyptischen Traditionen in unserem Bewusstsein von der Menschheit.

Ulla Lachauer hat ganz direkt an dieses unausdenkbare Verbrechen erinnert, das am 21. Oktober 1944 geschah in einem Ort, der Nemmersdorf hieß in Ostpreußen. Die überlebenden Nemmersdorfer wurden benützt. Das öffentliche Sprechen wiederholte die propagandistische Ausschlachtung der Nemmersdorfer Gräuel durch die Nazis und noch einmal durch Joseph Goebbels. Manchmal bis in die Diktion. In den Gedenkstunden – so hat Ulla Lachauer uns damals in einer Sendung im DLF gesagt 1994 – „Half man sich mit dem Begriff Apokalypse. Dieser Bezug zur Offenbarung des Johannes war so falsch nicht, weil die Bilder der Bibel das Unfassbare trafen und weil der Kontext ein Schuldbekenntnis einschloss: Voraus ging schwere Sünde, das Weltgericht musste demnach erwartet werden. So tief war diese in aller Regel jedoch nicht gemeint. Der Begriff der Apokalypse wurde ein gesetzt zur Verneblung dessen, was konkret geschah. Das Flammemeer des Infernos war eine Art Sperrfeuer gegen heikle und schmerzhafte Fragen.“

Wir werden Ulla Lachauer noch brauchen. Frauen, die mit Empathie und Geduld und Liebe sich in andere Menschen einfügen können. Die Afrikaner, die in einer Zahl von 18 Mio unterwegs sind, um den gelobten Kontinent Schengen zu erreichen, die werden von uns nur wahrgenommen als solche, bei denen man die Nationalität erkennen können muss, um sie wieder zurückzusenden. Dort, wohin wir sie zurückschicken, gibt es nichts von Rechts und Sozialstaat. Da gibt es nur the survival of the fittest. Dort müssen wir eine Ulla Lachauer mal hinschicken. Um unsere alten Vorurteile in der Luft zerplatzen zu lassen. Vielleicht erfinden sich diese Menschen auch eine deutsche Urgroßmutter, aus Deutsch-Südwest müsste man sich so eine doch zulegen oder kaufen können, in dem Reise-Land der Deutschen, „schwarzbraun ist die Haselnuss“, das heute Namibia heißt.

Die Mennoniten haben uns – wie die Muslime auf etwas hingewiesen, was wir im Westen schon für überholt, hinter uns gelassen hatten: Die Religion. Ja, so für Familienfeiern und für den Weihnachtsbaum, auch noch aus Hilflosigkeit die Erdbestattung oder die Urnenbestattung, einen Platz auf dem Friedhof, aber das reicht dann auch. Nein, wir sind sauer, dass denen die Religion so viel bedeutet. Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, der habe schon Religion, sagt uns Goethe. Was soll denn der Quatsch noch mit der Kirche und den Gebeten? Wo wir sie schon ad acta weggelegt hatten. Kirchensteuer, das reicht dann ja. Die Mennonitin Rita Pauls aus Karaganda sagt in dem Buch von Ulla Lachauer (Ritas Leute. Eine deutsch-russische Familiengeschichte2002): „Wir haben gedacht, in Deutschland sind alle Gesetze nach der Bibel gemacht“, zumal die Zeit des gotteslästerlichen Bolschewismus ja vorüber war. Aber die Gesetze waren nicht nach der Bergpredigt und den Evangelisten und den Psalmen gemacht. Kein Mensch hätte dafür was gegeben.
Was das für ein Halt war die mennonitische Gemeinde und die christliche Religion in dieser schrecklichen Zeit der Verbannung, wo unterwegs schon so viele gestorben sind. Immer wieder gelingen der Ulla Lachauer, die wir preisen, Bilder, die man nie vergisst. Sie sagt es: wir müssen wissen, dass diese Menschen, diese unsere deutschen Mitbürger eine abgrundtiefe Erschöpfung auszeichnete, sie sieht diese Erschöpfung, wenn sie die Maria Pauls so sitzen sieht, diese Erschöpfung muss ihre Persönlichkeit verändert haben. Zum Transport der auf dem kleinen privaten Acker gezogenen Kartoffeln stellte der Sowchos ein altes Kamel zur Verfügung.
Ulla Lachauer hat so ein hinreißendes Bild gefunden, um diese Vertrautheit aus Einsicht in den großen Gott, der alles so wunderbar erhält, ein Gemälde von Rembrandt fällt ihr ein. Das Bild zeigt den Amsterdamer Tuchhändler Cornelis C. Analo. Den gewaltigen Mennoniten-Prediger des 17. Jahrhunderts, in seinem Studierzimmer. Links auf dem Tisch liegt aufgeschlagen eine Bibel, rechts neben ihm sitzt sehr klein in einem schwarz glänzenden Kleid mit weißer Krinoline seine Ehefrau. In dem von Rembrandt 1641 erfaßten Augenblick wendet sich der Prediger (S. 157, Ritas Leute) seiner Frau zu, sie hört ihm hingebungsvoll zu. Nein, das Gemälde soll Feministinnen nicht beleidigen. Der Maler hatte den Auftrag, die Macht des biblischen Worts zu zeigen, das durch die Ohren zu Erfahrende ins Bild zu setzen. Und wirklich – schreibt Ulla Lachauer – es fixiert wunderbar mennonitische Programmatik, die theologische Auffassung vom Vorrang des Wortes – und von dessen gottgewollter Verkündigung durch den Mann.“

Ja, diese Menschen sind dankbar, die Familie der Rita Pauls: „Im deutschen Ruhestand, finanziell gesichert, sorglos wie nie zuvor, umgeben von ihren drei Kindern, acht Enkeln und 12 Urenkeln, die alle ausreisen durften und nahebei wohnen. „Wir sind endlich frei. Wir haben eine mennonitische Gemeinde, wer will, kann hingehen“. Maria Pauls in dem Buch der Ulla Lachauer, die wir heute hier preisen:
„Ich bin nur traurig, dass die Kinderchen so ohne Christentum sind. Wo es verboten war, war noch mehr da. Die Freiheit muss Ihre Grenzen haben. Wenn sie zu frei ist, ist es keine gute Freiheit“. Der jüngste Sohn hat das alte verpflichtende mennonitische Gebot der Wehrlosigkeit schon aufgegeben, er hat einen Dienst mit gutem Sold bei der Bundeswehr angetreten. Freiwillig und ohne Not.
Diese Menschen außerhalb unserer Tarif und Versicherungswelten sind alle in der Regel tüchtiger und fleißiger als wir es noch sein können.
Wir aber werden eine Welt erleben, als Utopie und Wirklichkeit. Gestern schreibt mir jemand, es gäbe sieben Dörfer 4 Stunden Zugfahrt in Ägypten von Kairo aus, da leben nur Farm-Agrararbeiter, die keinen eigenen Bodenbesitz haben und die haben nicht genug Geld, auf Grund der Inflation, sich Nahrungsmittel zu kaufen. Da gibt es ein universales Gesetz, nach dem Menschen auf der Welt nicht mehr allein sind, sie gehören zu einer Menschheit, die sich gnädig verhält. Das, meine Damen in Schorndorf (und meinetwegen auch meine Herren, aber die Damen verstehen es besser) ist der größte Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. Wenn irgendwo auf der Welt die Erde aufbricht, oder eine Umweltkatastrophe passiert oder ein Tsunami alles überspült und Menschen in den Orkus reisst: ES GIBT mittlerweile eine GNÄDIGE MENSCHHEIT!
Für die die Worte von Heinrich Böll gelten, die er uns im Juni 1984 in Holstebro als Vermächtnis hinterlassen hat. Und die wie ein Lichtschein das wunderbare Werk von Ulla Lachauer erhellen.

Dieses Werk ist kongenial dem der Frauen von Schorndorf. Ja, zu Schorndorf muss ich noch was sagen: Diese Schorndorfer Frauen haben gewaltig Gutes geleistet.
„Es ist schön ein hungerndes Kind zu sättigen,
ihm die Tränen zu trocknen,
ihm die Nase zu putzen,
es ist schön, einen Kranken zu heilen. Ein Bereich der Ästhetik,
den wir noch nicht entdeckt haben, ist die Schönheit des Rechts;
über die Schönheit der Künste, eines Menschen,
der Natur
können wir uns halbwegs einigen.
Aber – Recht und Gerechtigkeit sind auch schön,
und sie haben ihre Poesie, wenn sie vollzogen werden.
Tuende, nicht Tätige möchte ich ehren.
Alle diejenigen, die wissen, was es bedeutet,
ein Flüchtling,
ein Vertriebener zu sein,
unwillkommen zu sein“.

Eine große Eisenbahn könnten die nächsten Bundesregierungen mit den Regierungen in Ägypten, in Khartoum in Juba in Kampala ausmachen: dass man ein Jahrhundertunternehmen beginnt und Hunderttausende von jungen Afrikanern dabei ausbildet und Geld verdienen lässt. Oder man startet von hier, von Schorndorf – meinetwegen von Stuttgart eine Eisenbahn nonstop nach Peking?!

Es sind viele große Baustellen, in denen sich das Programm und die Vision von Immanuel Kant Zum ewigen Frieden verwirklichen lässt. Ihr Ministerpräsident hat schon das Rezept des Konrad Adenauer übernommen, das dieser weitsichtige Mann schon in der Weimarer Republik in Köln als Oberbürgermeister erkannte: „Grosse Strassen ziehen den Verkehr an.

Immanuel Kant und Ulla Lachauer.
Als Ulla Lachauer damals im Sommer 1998 sich aufmacht, von Frankfurt nach Omsk in einer Tupolev 54 zu fliegen, in der der „Geruch des kalten Krieges“ noch hängt, wo sie dann 19 Stunden mit dieser Transsib weiterfährt bis nach Karaganda erlebt sie viel Trostloses, erlebt sie das, was ich in afrikanischen Ländern und Straßen erlebe auf Schritt und Tritt – alle wollen weg! Die Steppe erobert das Kohlerevier zurück, die Sary Arka, die goldene Steppe sei zum Verrücktwerden schön. Es sind ja nur noch wenige da, die Deutschen sind ja fast alle weg nach Deutschland. Tatjana führt sie Ulla L.- in den Garten und fragt: „Was denkst Du? Sollten wir vielleicht nach Kaliningrad ziehen?“ Von Russlands Enklave im Westen wären Deutschland, die Tochter Oksana und die Enkelkinder leichter zu erreichen.
Da steht es im Buch: „Mir stockte der Atem. Soll ich gestehen, dass ich die Gegend kenne, und Kaliningrad das Trostloseste ist, was ich in Europa gesehen habe.“

Zwei Reminiszenzen dazu, die Ulla Lachauer hat zwar keine Verwandtschaftlichen Beziehungen und Gefühle, sie ist keine Tochter von Heimatvertriebenen, aber sie sucht nach dem Schwiegervater Alfred Lachauer, der hier fünf Jahre in schrecklich entbehrungsreicher Kriegsgefangenschaft war. Ein Vorbild dieser Mann, denn er konnte sich empören, wie wir uns als Volk immer noch empören sollen, dass uns diese 12 Jahre und viel mehr von diesen Nazibonzen und Mördern gestohlen wurden. Die Nazis raubten dem Alfred Lachauer 10 Jahre seines Lebens. Sie raubten uns allen diese zehn Jahre, die damals lebten. „Die Nazis hatten teilweise im Lande noch Einfluss, oder alle, die die Wiederbewaffnung Deutschlands vorbereiteten.“

Das habe ich bei meinem Mentor Heinrich Böll gelernt, und ich lerne es bei jedem Besuch in Afghanistan mehr: Armeen sind zu wenig nütze, wir sollten auch keine Verfassungsschutzämter haben, die uns hindern, diese Nazipest NPD aus unserem Lande herauszuwerfen. Wir sollten uns als helfende und hilfreiche Nation – mit Grünhelmen statt Blauhelmen – nicht übertreffen lassen zu helfen und mit Mut und Risiko in gefährlichste Situationen hineinzugehen. Aber bitte, keine 270 Leopard Panzer nach Saudi Arabien.

Und das letzte, wozu ich die Frauen von Schorndorf mit Ulla Lachauer an der Spitze bitte; es ist eine Winzigkeit, und sie werden sagen. Wozu das denn? Aber ich kann es physisch nicht länger ertragen, dass der Mann, der da in Königsberg achtzig Jahre alt wurde und uns allen den Weg zum ewigen Frieden und zur Moral-Maxime weist, der sich verpflichtet fühlte dem „moralischen Gesetz in ihm und dem gestirnten Himmel über ihm“ bis heute, eigentlich der Erfinder der Aufklärung, der uns allen, auch hier sagt, wir sollen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit herausgehen, dieser Immanuel Kant muss im Grab ertragen, dass seine Stadt Kaliningrad heisst.
Diese Enklave soll meinetwegen weiter zum Staatsgebiet Russlands gehören, aber der Name muss geändert werden. Alle Verbrechernamen in Russland sind nach dem Ende der Sowjetunion geändert worden. Ich möchte, dass von heute aus eine Bewegung in Schorndorf durch Deutschland und Europa, durch Osteuropa bis nach Moskau geht und wir uns alle auf den besten Namen einigen, den diese Stadt je kriegen kann.
Sie sollte nicht mehr Kaliningrad, sie sollte KANT(-grad) heißen.

Die Vergangenheit ist ein anderes Land.